Instinktiv glücklich – Interview mit Dr. Matthias Marquardt

von | Nov 3, 2016

Überforderung? Schlechtes Zeitmanagement? Oder schlechter Instinkt? Gesunde Medizin sprach mit Internist und Sportarzt Dr. Matthias Marquardt darüber, wie Instinkt und Glücklichsein zusammenhängen.

Je älter wir werden, umso mehr sind wir beruflich und familiär eingebunden. Die eigenen Bedürfnisse bleiben oft auf der Strecke, weil die eigene Kraft begrenzt ist und Zeit fehlt. Wie kann das passieren, dass man sich selbst vernachlässigt?

Es ist schon erstaunlich, dass selbst bei Menschen in den westlichen Industrienationen, die frei von Hunger und existentieller Not sind, das Leben einem derartigen Stress unterliegt. Ich erkläre das immer mit den Steinzeit-Instinkten: Wer damals nicht erster im Rudel war, kam schnell unter die Räder. Wer keine Ideen zum Überleben hatte, wurde abgehängt. Diese ständige Optimierung der Lebensbedingungen und der sozialen Position liegt uns offenbar in den Genen. Und da wir derzeit keine Mammuts jagen, dokumentieren wir ,,Jagderfolg“ eben mit einem Sportwagen. Klingt primitiv, aber anders kann ich mir dieses Verhalten nicht sinnvoll erklären.

Was sind die ersten Anzeichen dafür, dass etwas schiefläuft?

Es müssen noch gar keine körperlichen Symptome wie Schlaflosigkeit, Verdauungsbeschwerden, Herzrasen oder Kopfschmerzen sein. Wer genau in sich hinein hört, spürt die permanente Anspannung und den fehlenden Ausgleich eventuell schon lange vor ersten ernsten Symptomen. Aber was hilft es, wenn man diese Zeichen immer wieder verdrängt, weil man ,,auf der Jagd“ ist? Insofern hören leider die wenigsten auf diese leisen Töne. Auch ich muss mich in dieser gehetzten Welt immer wieder dazu anhalten!

Scheinbar haben wir verlernt, im Leben die richtigen Prioritäten zu setzen. Wie lässt sich zwischen Glücksbringer und Glückskiller unterscheiden?

Viele Menschen halten Freizeitbeschäftigungen und Konsumartikel für Glücksbringer, die vordergründig Entspannung und Wohlbefinden versprechen. Der ,,entspannte“ Fernsehabend oder das neue Auto. Wahre Glücksbringer sind aber vielmehr die Dinge, die uns auch fordern: Sport, Lesen eines anspruchsvollen Buches, ein Hobby (nein, Shoppen ist kein Hobby!) kommen nicht ohne Einsatz aus. Dieser wird aber durch langfristige Glücksgefühle und Zufriedenheit belohnt. Mein liebster Glücksbringer ist zurzeit: Holzhacken, so obskur das klingen mag.

Ihr Buch handelt von der ,,Instinkt-Formel“, wie geht hier die Rechnung?

Es geht darum, sich die Lebensbereiche, in denen wir uns bewegen, zu vergegenwärtigen. Neben Beruf und Leistung gibt es Gesundheit, Ernährung, Bewegung und Entspannung, Soziales und den Ich-Bereich, der nur allzu schnell vergessen wird. Wichtig ist: Ein Burnout ist nicht abhängig von der Wochenarbeitszeit, aber von der Qualität der kompensierenden Lebensbereiche. Um deren Qualität müssen wir uns kümmern. Ohne einen Blick auf unsere Steinzeit-Instinkte, die uns in der modernen Welt oft in die falsche Richtung treiben, werden wir nicht verstehen, wie wir entspannter leben können. Die Frage, ob drei Stunden Fernsehen am Tag und ein Sportwagen sein müssen, gehört also durchaus diskutiert. Wer sich diese Frage nicht stellen will, wird wohl in der Tretmühle bleiben müssen.

Viele Menschen würden gerne etwas ändern, aber meist bleibt es nur beim Wollen. Wie könnte eine erfolgreiche Kursänderung in der Praxis aussehen?

Am Anfang steht die Erkenntnis, dass Sie in einen Küchenschrank, der vollständig gefüllt ist, keine Tasse stellen können, bevor sie nicht eine andere herausgenommen haben. Für Ihre Lebensbalance bedeutet dies, dass Sie bei vorherrschendem Stress, und somit reich gefülltem Kalender, nicht zusätzlich Joggen gehen, mehr schlafen und ein Hobby praktizieren können, nur weil das die Work-Life-Balance verbessert. Tut es nämlich nicht, wenn man dadurch noch gestresster wird. Insofern: Erst Überflüssiges und Belastendes streichen, dann neue Verhaltensweisen verankern. Bei mir ist der Fernseher den Glücksbringern gewichen. So einfach kann das sein, wenn man das Problem verstanden hat!

Dass sich eine Veränderung in allen Lebensbereichen vollziehen muss, ist klar. Wie startet man mit den Verhaltensweisen richtig, um nicht wieder alten Gewohnheiten zum Opfer zu fallen?

Sie müssen sich auf zwölf schwierige Wochen einstellen. So lange braucht es mindestens, bis man sich an neue Verhaltensweisen gewöhnt und bis es wie von selbst läuft. Ein kleines Startprogramm wäre es, den Fernseher gegen regelmäßige Bewegung (Joggen, Walken) und das Rentnerfrühstück aus Marmeladenbrot und Kaffee gegen einen morgendlichen Obstsalat zu tauschen. Denn warum sollte jemand, der 40 Jahre Brot mit Marmelade gegessen hat, nicht die nächsten 40 Jahre Obstsalat essen können. Zumal es ihm damit besser geht!

Vielen Dank für das Gespräch!
Buchtipp:

In seinem Buch „Instinkt-Formel“ (22,99 Euro, Südwest Verlag) nimmt Dr. Marquardt den Leser mit auf eine Reise durch all seine Lebensbereiche. Er hilft ihm herauszufinden, was er will, was ihn motiviert und glücklich macht.